Activity Sampling
16.10.2017, 00:00 Uhr
Fakten statt fabulieren
Lassen Sie sich periodisch nach der gerade ausgeführten Tätigkeit befragen.
Das Daily Stand-up Meeting ist ja inzwischen allerorten recht beliebt. Kurz als Team in einer Runde am Tagesanfang zusammenkommen und jeder berichtet, was er/sie gestern getan hat, was heute auf dem Plan ist und wo Hürden wahrgenommen werden.
Das klingt nützlich aus mehreren Gründen. Eine Gruppe von Menschen nimmt sich zumindest einmal pro Tag als Ganzes, womöglich als Team wahr. Es wird Transparenz geschaffen, sodass Unterstützung auf kleinem Dienstweg selbstständig organisiert werden kann. Und alle bekommen ein Gefühl für den Fortschritt der Arbeit.
Wenn alle diese Gelegenheit ernst nehmen und motiviert dabei sind, kann so eine kurze Synchronisation wirklich etwas bringen. Sie stärkt den Fokus, das Energielevel für den Tag wird erhöht. Wunderbar.
Neulich im Trainer-Retreat der Clean Code Developer School haben Stefan Lieser und ich es auch so gehalten. Wir haben sogar jeden Tag zwei Dailys gemacht. Einmal am Morgen, bevor wir auf unsere Tageswanderung gegangen sind und einmal am Nachmittag, bevor wir uns zum Basteln an unsere Rechner gesetzt haben. Einfach nur kurz den Plan miteinander teilen – und dann los!
In einer Hinsicht ist das Daily jedoch schwach: Es verlässt sich auf Erinnerung. Wenn beim Daily benannt wird, was man seit dem letzten tatsächlich getan hat, fällt leicht etwas unter den Tisch.
Nicht nur vergisst man Tätigkeiten, sondern vor allem ist der Modus, in dem man gearbeitet hat, oft verzerrt. Wie lange war man mit einer Tätigkeit wirklich beschäftigt? Wie oft wurde man unterbrochen? Wie oft hat man zwischen Tätigkeiten gewechselt?
Nicht nur das Was ist ja wichtig bei der Arbeit, auch das Wie! Es geht um Effektivität und Effizienz. Wer darin gut sein, gar besser werden will, der sollte sich nicht nur auf Erinnerung verlassen, sondern Fakten zu Rate ziehen.
Und was wären Fakten in Bezug auf die tatsächlichen Tätigkeiten? Ganz einfach: Ein Protokoll, in dem steht, was wann getan wurde.
Vielleicht müssen Sie das sogar schon tun, weil Ihre Firma danach mit dem Kunden abrechnet. Wahrscheinlich tun Sie es aber noch nicht und haben höchstens mit grobem Arbeitszeit-Stempeln zu tun. In jedem Fall jedoch werden Sie die Idee einer Protokollierung nicht aufregend finden. Eher werden Sie die Augen rollen und seufzen.
Das habe ich auch lange getan. Zeiterfassung macht keine Freude. Je feingranularer, desto weniger. Sie ist aufwändig, das sieht nach Kontrolle aus, das hält von der eigentlichen Arbeit ab, das erzeugt Frust, wenn man sich womöglich später rechtfertigen muss.
So sehe ich das ebenfalls – aber ich sehe auch einen Nutzen darin zu wissen, was ich wirklich gestern oder vorgestern getan habe. Deshalb habe ich überlegt, wie ich den Nutzen einstreichen kann ohne die Nachteile.
Meine Idee: Ich stelle die Zeiterfassung auf den Kopf!
Nervig an der Zeiterfassung ist ja, dass ich mich an sie erinnern muss. Wenn ich die Tätigkeit wechsle, muss ich das notieren. Das bedeutet, ich muss mentalen Aufwand treiben, um das Protokoll zu führen. Damit ist es quasi wichtiger als meine eigentliche Arbeit.
Aber was, wenn ich nicht mehr daran denken muss? Dann wird Zeiterfassung ganz leicht!
Das nenne ich allerdings nicht mehr Zeiterfassung oder Time Tracking (TT), sondern Activity Sampling (AS) [1][2].
Beim Time Tracking schreiben Sie die Zeit auf und dazu, was Sie tun. Beim AS hingegen werden Sie periodisch befragt, was Sie gerade machen.
Damit wechselt der Fokus von „selbst dran denken“ und Zeit auf „jemand anderes denkt dran“ und Aktivität. Bild 1 zeigt, wie das den Tag über funktioniert.
Alle 20 Minuten wird dort gefragt „Was machst du gerade?“
Im einfachsten Fall ist die Antwort „Dasselbe wie vorhin.“; dann macht man nur einen Strich hinter der immer noch aktuellen Aufgabe.
Oder die Tätigkeit hat gewechselt; dann notiert man kurz, woran man jetzt arbeitet.
Oder man antwortet gar nicht; dann entsteht im Protokoll eine Lücke, zum Beispiel während der Mittagspause.
Durch die periodische Frage kommt AS ohne mentalen Ballast daher. Drei Mal pro Stunde auf Zuruf circa drei bis zehn Sekunden daran zu denken, was man gerade macht, ist keine Behinderung.
Ich arbeite seit Wochen mit Activity Sampling und bin sehr froh damit. Ich habe mir eine kleine Anwendung gebastelt, die bei mir nachfragt und in der ich meine Aktivitäten aufzeichne. Aber Eieruhr, Papier und Bleistift tun es auch.
Protokoll des Activity Sampling über zwei Tage (Bild 2)
Dass AS weniger akkurat ist als TT ist aus meiner Sicht kein Bug, sondern sogar ein Feature. Die Genauigkeit von TT ist ja nur vermeintlich. Und der Preis für die Genauigkeitsillusion ist hoch. Bei AS ist der Preis minimal und ich sehe, was ich sehen will: meinen Arbeitsfluss. Wie ist meine Aufmerksamkeit über den Tag durch verschiedene Tätigkeiten geflossen (Bild 2)? War ich lange konzentriert, gab es Unterbrechungen, Wechsel, Wiederaufnahmen?
Mit AS kann ich mühelos eine wunderbare Erinnerungsstütze aufbauen. Die hilft mir in Dailys und bei sonstigen Retrospektiven, die Qualität meiner Arbeitsweise einzuschätzen. Ist Verbesserungsbedarf da oder nicht? Wann und wo hat es gehakt oder ist es geflossen? Probieren Sie es doch einmal. Ihre Dailys bekommen mehr Substanz, wenn Sie nicht nur erinnern, sondern belegen können; Fakten statt fabulieren. Ein Experiment von ein, zwei Wochen bringt Ihnen Erkenntnisse – und hoffentlich Erleichterung.
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