Weiterbildung
27.03.2013, 00:00 Uhr
Ralf Westphal geht auf die Walz
Um ihr Wissen zu erweitern, machen sich manche Handwerksgesellen auf die Wanderschaft von einem Handwerks betrieb zum anderen. Ralf Westphal will es ihnen gleichtun und als wandernde Arbeitskraft durchs Land ziehen.
(Quelle: Kathrin Blum / Badische Zeitung)
Darf ich bei Ihnen mitmachen? Ich würde Ihnen gern über die Schulter schauen. Ich möchte lernen, wie Sie Ihre Projekte angehen, wie Sie Ihre Arbeit organisieren, wie Sie das nächste Feature planen, wie Sie Support und strategische Entwicklung übereinbekommen, wie Sie codieren.
Keine Sorge, das bedeutet nicht, ich würde eine Anstellung suchen. Sie müssen keine Vakanz in Ihrem Team haben. Ich mache mich ganz klein und bin mit einem Stuhl neben Ihnen zufrieden. Und nach einer Woche bin ich wie der weg. Sie müssen nicht befürchten, dass ich zu einer Last werde. Im Gegenteil! Ich möchte mich auch einbringen. Es soll also ein Austausch stattfinden.
Die Motivation
Wenn ich es etwas altmodisch ausdrücken soll, dann würde ich sagen: Ich möchte auf die Walz gehen. Genau wie die Handwerksgesellen verschiedener Zünfte möchte ich meine Kunst verfeinern, indem ich mit ganz unterschiedlichen Lehrherren an ebenso unterschiedlichen Projektanforderungen arbeite.
Der Gedanke einer Walz für Softwareentwickler ist vor einigen Jahren in der Software Craftsmanship-Bewegung aufgekommen. Mir scheint jedoch, nicht viele haben ihn tatsächlich in die Tat umgesetzt. Auch ich habe zu nächst darüber geschmunzelt.
Inzwischen ist mir das Schmunzeln allerdings vergangen. Ich glaube vielmehr, ohne eine Walz bleiben wir stehen. Wir werden hart wie die Monolithen, die wir immer noch produzieren. Nicht auf die Walz zu gehen und zu behaup ten, man arbeite agil, scheint mir mehr und mehr ein Widerspruch.
Die Komfortzone, in der wir es uns technisch, methodisch, paradigmatisch, sozial so heimelig einrichten, weitet sich aus. Die Softwarewelt bewegt sich immer mehr – doch da wir unser Tagesgeschäftsverhalten nicht ändern, wer den wir dieser Bewegung gegenüber zunehmend immobil. Das kann unseren Produkten und damit unseren Kundenbeziehungen nicht guttun. Und das kann auch uns selbst nicht guttun, glaube ich.
Denn damit sinkt unsere Attraktivität am Arbeits/Projektmarkt, das heißt, es steigt die Abhängigkeit zum aktuellen Geldgeber. Das kann nicht gut für unser berufliches oder auch privates Leben sein. Wir widersprechen damit aber auch einem unserer Grundantriebe: der Neugier. Denn als Softwareentwickler sind wir – jedenfalls die allermeisten, die ich kenne – scharf auf Neues, auf Cooles, auf Besseres. Unsere Sache gut, immer besser, gar meisterlich zu machen, treibt viele an. Dazu passt einfach nicht, wie fest wir an unsere Bürostühle geklebt sind. Natürlich im Namen des Projektes, das dringend vorankommen muss.
Doch dieser stetige Zwang, das aktuelle Projekt Tag für Tag voranzubringen, lässt uns stillstehen – und ist langfristig auch für die Software nachteilig. Denn woher sollen die Innovationen in drei oder fünf Jahren kommen, die dann so dringend nötig sind? Innovation kann als Blitz nur da einschlagen, wo vorher Potenzial war. Es braucht innere Vielfalt, inneren Reichtum, es braucht eine bunte innere Landschaft an Technologien, Methoden, Ansätzen, Erfahrungen, aus der ein kreativer Prozess schöpfen kann.
Mit einer Walz möchte ich nun diese innere Landschaft düngen. Ich habe mit ihr viele Jahre schöne Ernten eingefahren – doch jetzt scheint es mir an der Zeit, ihr etwas Ruhe zu gönnen. Düngen, anreichern, auftanken, statt weiter auspressen. Investieren, statt nur von Dividenden leben.
Vom Ergebnis werde ich dann in der dotnetpro berichten. Denn mit meiner Walz möchte ich Ihnen ja auch ein Beispiel geben. Ich möchte Sie ermuntern, es auch zu probieren. Sozusagen Bildungsurlaub der anderen Art.
Vielleicht können wir ja zusammen das anstoßen, was bei den Software Craftsmen noch nicht so recht ins Laufen gekommen ist?
So funktioniert‘s
So weit der Gedanke hinter der Walz. Sie ist ein Lernexperiment – das hoffentlich Schule macht. Wenn es im agilen Manifest heißt, „Individuals and interactions over processes and tools“, dann kann eine Walz nur eine gute Übung für den Agilitätsmuskel sein. Das stelle ich mir so vor :
- Ich komme für fünf Arbeitstage zu Ihnen ins Unternehmen/Projekt. Während dieser Zeit bin ich ein normales Teammitglied. Ich arbeite also nach Kräften mit. Dadurch bekomme ich etwas von Ihnen: Einblick in Ihre Herangehensweise an Software in Bezug auf ganz verschiedene Aspekte.
- Dass ich nicht tief im Code und in der Domäne drinstecke, ist klar. Dennoch kann ich wertvollen Input liefern, denke ich. Das kann Code sein, das kann aber auch eine zweite Meinung beim Pair Programming sein oder Recherche oder schlicht Mitdenken. Sie bekommen also auch etwas von mir.
Heimisch bin ich in .NET/C#. Aber ich kann mich auch in andere Plattformen einlesen. Ruby und JavaScript sind mir schon heute nicht fremd. Mit F#, Clojure oder Java nehme ich es aber auch gern auf.
- Für meine Mitarbeit möchte ich keine Bezahlung wie ein Angestellter oder Freelancer. Meine Zeit stelle ich gratis zur Verfügung. Kost und Logis jedoch sollten gestellt werden. Am einfachsten ist das durch Zahlung einer Unterkunftspauschale von 555 Euro zzgl. MwSt. für fünf Tage Mitmachen. Darüber käme am Ende eine Rechnung von mir. So würde kein heimischer Friede dadurch gestört, dass ich auf einer Couch übernachte.
- Zu jeder Woche auf der Walz in einem Projekt beziehungsweise Unternehmen schreibe ich in der dotnetpro einen kurzen Erfahrungsbericht. Der umreißt soweit möglich die Situation vor Ort und was ich dabei gelernt habe. So können auch andere zumindest ein bisschen davon profitieren, ohne gleich selbst gewalzt zu sein. Und vielleicht motiviert das den einen oder anderen, es mir nachzutun. Ich gebe die Hoffnung nicht auf ...
- Für den Zeitraum April bis August 2013 suche ich mindestens drei Stationen für die Walz. Über die Termine sprechen wir uns individuell ab. Vielleicht kann ich ja auch den einen oder anderen Urlauber ersetzen helfen?
So persönlich die Motivation für die Walz also ist, es geht dabei um Austausch und gegenseitigen Gewinn. Ich sammle ganz unterschiedliche Erfahrungen und erweitere meinen Horizont; Sie bekommen etwas frischen Wind in die Projektbude und auch ein wenig handfeste Hilfe.
Wie wäre das? Haben Sie Lust, bei diesem Experiment mitzumachen? Zu verlieren gibt es nichts. Wenn Sie mir einen Platz für die Walz anbieten wollen, schreiben Sie eine E-Mail an info@ralfw.de. Dann tüfteln wir zusammen die Details aus. Ich bin gespannt und freue mich auf interessante Begegnungen. [tib]