Synergie in der Anwendungsentwicklung 17.05.2023, 00:00 Uhr

Low Code trifft auf Custom Development

Können sich beide Entwicklungsparadigmen ergänzen und wenn ja, wie?
(Quelle: adesso)
Der Fokus der IT-Branche hat sich in den letzten Jahren verstärkt auf Agilität, Effizienz und schnelle Implementierung von Geschäftslösungen verschoben. Dabei hat sich der Low-Code-Entwicklungsansatz, der eine Anwendungsentwicklung mit minimalem Programmieraufwand ermöglicht, etabliert. Gleichzeitig bleibt das traditionelle Custom Development (Custom Dev) für maßgeschneiderte Lösungen relevant.
Mit Blick auf eine Studie von Gartner (2021), die prognostiziert, dass bis 2024 etwa 65 Prozent der neuen Anwendungen Low Code- oder No-Code-Technologien nutzen werden, wird die wachsende Bedeutung von Low-Code-Entwicklung deutlich (It's High Time For Low Code (forbes.com), 2021).
Der vorliegende Artikel setzt sich mit beiden Ansätzen auseinander, beleuchtet ihre Vor- und Nachteile und erörtert, ob eine kombinierte Herangehensweise für eine effiziente, flexible und kontrollierte Anwendungsentwicklung vorteilhaft sein kann. Dabei werden auch Grenzen und Zukunftspotenzial betrachtet, um ein umfassendes Verständnis für ihre Anwendungsmöglichkeiten zu schaffen.

Low Code Entwicklung vs. Custom Dev

Zur Einordnung der Methoden Low Code und Custom Dev werden zunächst beide Begriffe kurz definiert und analysiert. Ziel ist es, einen Überblick über die Stärken und Schwächen der Ansätze zu geben und als Entscheidungshilfe für die Auswahl der passenden Methode zu dienen.
Custom Dev, oder individuelle Softwareentwicklung, erfordert fortgeschrittene Programmier-, Datenbank- und technische Fähigkeiten. Es ermöglicht die Erstellung von Lösungen, die präzise auf spezifische Unternehmensanforderungen zugeschnitten sind. Diese Methode bietet Flexibilität, Kontrolle und die Implementierung fortgeschrittener Funktionen, die in Low-Code-Plattformen möglicherweise fehlen.
Low Code Entwicklung nutzt integrierte Entwicklungsumgebungen (IDEs) und standardisierte Softwaremodule, um den Programmieraufwand zu reduzieren. Diese Module ersetzen individuellen Code und werden visuell und über Metadaten verbunden, um gewünschtes Verhalten zu realisieren. Low-Code-Plattformen zeichnen sich zudem durch automatisierte Datenbankintegration, visuelle Modellierung von Unternehmensprozessen und vollständiges Lifecycle-Management aus, das die Bereitstellung, Wartung und Änderung von Anwendungen vereinfacht. (https://web.archive.org/web/20191022074417/https:/www.simplifier.io/low-code-plattformen/)
Mit diesen Definitionen als Ausgangspunkt wird nun eine detailliertere Betrachtung beider Methoden durchgeführt.
Stärken und Schwächen - Low Code (Quelle: Maximilian Tore Becker) (Bild 1)
Quelle: Autor
Low-Code-Entwicklung bietet eine effiziente Lösung zur schnellen Implementierung von Anwendungen. Durch die Nutzung vorgefertigter Module und Funktionen wird der Entwicklungsprozess vereinfacht, was eine zeit- und kosteneffiziente Strategie ermöglicht. Dies ist insbesondere dann vorteilhaft, wenn eine rasche Entwicklung erforderlich ist und keine tiefgehende individuelle Anpassung. Dennoch kann die Beschränkung auf vorgefertigte Elemente dazu führen, dass nicht alle spezifischen Anforderungen erfüllt werden können. Außerdem könnte eine gewisse Abhängigkeit von der jeweiligen Plattform bestehen, die eine vollständige Anpassung an die spezifischen Bedürfnisse des Unternehmens einschränken könnte. (Comparing No-Code/Low Code And Custom Development (codeclouds.com), 2022)
Stärken und Schwächen - Custom Development (Quelle: Maximilian Tore Becker) (Bild 2)
Quelle: Autor
Auf der anderen Seite ermöglicht Custom Dev eine hohe Anpassungsfähigkeit an spezifische Anforderungen und Geschäftsprozesse. Durch die Gewährung vollständiger Kontrolle über den Entwicklungsprozess und die Technologieentscheidungen können Entwickler maßgeschneiderte Lösungen schaffen, die genau auf die Bedürfnisse des Unternehmens zugeschnitten sind. Dies kann insbesondere bei komplexen oder geschäftskritischen Anwendungen von Vorteil sein. Allerdings erfordert Custom Dev mehr Zeit und Ressourcen, einschließlich spezialisierter Programmierkenntnisse. Dies könnte zu höheren Kosten im Vergleich zur Low-Code-Entwicklung führen. (Low Code vs Custom Development: What Are the Real Differences? | by OptimaJet | OptimaJetHQ | Medium, 2021)
Insgesamt erfordert die Wahl zwischen Low Code und Custom Dev eine sorgfältige Überlegung. Low Code könnte eine geeignete Lösung sein, wenn eine effiziente und einfache Anwendungsentwicklung Priorität hat. Custom Dev ist wahrscheinlich besser geeignet, wenn eine hohe Anpassungsfähigkeit an individuelle Geschäftsprozesse und komplexe Anforderungen notwendig ist. Bei der Entscheidungsfindung sollten Unternehmen die verschiedenen Aspekte beider Ansätze abwägen und eine langfristige Strategie entwickeln, die ihre individuellen Bedürfnisse und Ziele berücksichtigt.

Die Power-Kombination für individuelle Softwareentwicklung

Die bisherige Analyse der Low-Code-Entwicklung, exemplifiziert durch die renommierte Microsoft Power Platform, hat die Integration von Custom-Dev-Elementen in die Low-Code-Entwicklung noch nicht ausführlich behandelt. Es ist von zentraler Bedeutung, dass die Entscheidung zwischen den beiden Methoden nicht unbedingt als eine binäre Wahl betrachtet werden muss. Stattdessen ermöglicht die Verbindung beider Ansätze den Nutzen beider Welten: eine effizientere Implementierung von Anwendungen mit gleichzeitiger Flexibilität und Kontrolle.
Die Microsoft Power Platform dient als ein Beispiel für eine Plattform, die die Vermischung von Low-Code- und Custom-Dev-Entwicklung ermöglicht. Mit ihren Werkzeugen können Nutzer leistungsfähige Geschäftsanwendungen erstellen, die sich nahtlos in das bestehende Technologie-Ökosystem einfügen und bei Bedarf durch Custom-Dev-Komponenten erweitern lassen.
Diese Zusammenführung erleichtert den Entwicklungsprozess und reduziert den Zeitaufwand. Durch die Integration von Custom Dev können zusätzliche Anwendungsfunktionalitäten entwickelt werden. Im Microsoft Dynamics Bereich besteht seit längerem die Möglichkeit, kleinere Custom-Dev-Komponenten wie Plug-ins einzubinden. In diesem Abschnitt wird jedoch die echte Verbindung von Low-Code-Anwendungen auf der Power Platform und maßgeschneiderten Custom-Dev-Anwendungen hervorgehoben, um effizientere und anpassungsfähigere Anwendungen zu entwickeln.
Ein praktisches Beispiel für diese Verbindung ist das Projekt von Johnson Controls, einem globalen Technologie- und Industrieunternehmen. Die Power Platform von Microsoft diente als Grundlage für die Entwicklung von Gebäudemanagement-Anwendungen. Mithilfe der Low-Code-Entwicklung konnten schnell grundlegende Funktionen für die Überwachung und Steuerung von Gebäudefunktionen wie Heizung, Lüftung und Klimatisierung (HLK) erstellt und an die spezifischen Anforderungen des Unternehmens angepasst werden. Für komplexere und spezifischere Anforderungen kam Custom Dev zum Einsatz. Unter anderem wurden individuell angepasste Schnittstellen entwickelt, um die Anwendungen nahtlos mit anderen Systemen und Diensten für das Gebäudemanagement zu verknüpfen.
Dies zeigt, dass die Verknüpfung von Low Code und Custom Dev einen entscheidenden Faktor für eine erfolgreiche individuelle Softwareentwicklung darstellen kann, die sowohl Effizienz als auch Anpassungsfähigkeit unterstützt. Ein weiterer Aspekt, der berücksichtigt werden sollte, ist die Skalierbarkeit dieser kombinierten Ansätze. Durch die Nutzung von Low Code und Custom Dev können Unternehmen ihre Anwendungen im Einklang mit ihrem Wachstum und ihren sich ändernden Anforderungen erweitern und anpassen.

Ausblick: Die Rolle von Low-Code-Entwicklung und Custom Dev in der IT-Branche

Die IT-Branche befindet sich in kontinuierlicher Expansion, wobei Low Code und Custom Dev wesentliche Rollen in diesem Wachstum einnehmen. In Anbetracht der diskutierten Punkte zeigt sich, dass Low Code und Custom Dev sich ergänzend zueinander verhalten und gemeinsam die zukünftige Gestaltung der Anwendungsentwicklung beeinflussen. Angesichts der aktuellen Entwicklungen in den Bereichen Künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen, die das Potenzial haben, die Art der Softwareentwicklung grundlegend zu verändern, ist es angebracht, diese Aspekte an dieser Stelle zu erwähnen. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist Microsoft Copilot für Power Apps, das KI und maschinelles Lernen in den Entwicklungsprozess integriert. Mit Copilot können Entwickler beispielsweise eine App erstellen, einschließlich der dahinter stehenden Daten, indem sie einfach in mehreren Gesprächsschritten beschreiben, was sie benötigen.
Die kontinuierliche Entwicklung der Technologielandschaft und die zunehmende Nachfrage nach agilen, anpassungsfähigen Geschäftslösungen unterstreichen die Bedeutung von Low-Code-Entwicklung, Custom Dev und KI im IT-Sektor. Durch die Verbindung dieser Technologien werden sich neue Chancen ergeben, die den Weg für kreative und effiziente Anwendungsentwicklung ebnen.
Quelle: Maximilian Tore Becker
Maximilian Tore Becker ist Software Engineer und sammelt bereits seit über zehn Jahren in unterschiedlichen Branchen Erfahrung. Als Requirements Engineer, Softwareentwickler und Projektleiter bei adesso betreut er Projekte, die die Schnittstelle zum Endkunden abbilden.


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