Management und Führung 29.04.2023, 09:16 Uhr

Müssen Ziele SMART sein?

Wenn es um Ziele im Projektmanagement oder in der Führung einer Organisation geht, stoßen wir schnell und fast ausnahmslos auf das Akronym SMART. Was steckt dahinter, und kann es nicht auch sinnvolle Ziele geben, die nicht SMART sind?
(Quelle: EMGenie)
Fangen wir vorne an: Wofür steht SMART? Diese Beschreibung stammt aus den 1970er Jahren, geht auf Peter F. Drucker zurück und wurde mit der Zeit immer wieder leicht angepasst [1]:
  • Specific, also möglichst konkret formuliert
  • Measurable, um in kurzen Intervallen regelmäßig zu prüfen, wie nah wir an das Ziel bereits herangekommen sind (oder auch nicht)
  • Achievable, erreichbar und von allen Beteiligten als ansprechend und für erstrebenswert erachtet
  • Realistic, relevant und angemessen, also mit ausreichender Anstrengung erreichbar
  • Time-bound, also als Meilenstein mit einem möglichst konkreten Zieldatum formuliert
Was bringen uns SMARTe Ziele? Sie ermöglichen uns eine genaue Ortsbestimmung, wo genau wir auf unserem Weg zur Zielerreichung stehen. Damit sind SMARTe Ziele wie gemacht für das Management von Projekten. Doch wie so oft steckt die Tücke im Detail…

Ziele als Endpunkt eines Weges

Wenn wir den Weg zum Ziel bereits festgelegt haben, fällt es in der Regel leicht, das Ziel SMART zu definieren. Wenn der Weg noch lang ist, können wir Zwischenziele einfügen, die sich ebenfalls SMART darstellen lassen. Dieser Grad an Klarheit und Durchdringung des Themas ist leider meist erst spät in einem Zielfindungs- und Lösungsprozess erreicht.
Einer der Fallen SMARTer Ziele ist, dass wir zu früh den Lösungsweg festlegen beziehungsweise wir uns bei der Lösungsfindung bereits zu Beginn zu stark einschränken. Dann bleiben bessere Wege außen vor, da sie nicht zu den SMARTen Zielen passen, obwohl die Zielerreichung darüber vielleicht viel sinnvoller wäre. Wie kann das sein?
Wenn unser Ziel beispielsweise die Verbesserung der Kundenzufriedenheit mit einem unserer Softwareprodukte ist, könnte man auf die Idee kommen, dafür die Benutzeroberfläche zu verbessern. Im Rahmen der Zieldefinition legen wir fest, wie wir Kundenzufriedenheit messen wollen und was eine verbesserte Benutzerführung ausmacht. Ersteres kann etwa durch Umfragen bei Anwender:innen unserer Software erfolgen. Kriterien für die Benutzerführung könnte die Durchlaufzeit sein, die es braucht, um bestimmte Prozesse durchzuführen. Dies führt zu einer Vereinfachung unserer Ziele, bei der wichtige Aspekte nicht berücksichtigt werden, was wiederum das Erreichen des Ziels gefährdet. Oder plakativer ausgedrückt: Wir bauen Mist, das aber kontrolliert und gut gesteuert.
Ob unsere Stakeholder durch eine veränderte Benutzerführung wirklich zufriedener werden, ist fraglich und sollte zumindest belastbar überprüft werden. Kundenzufriedenheit ist ein dermaßen abstrakter und von zahlreichen Faktoren abhängiger Begriff über eine heterogene Gruppe von Stakeholdern, dass wir kaum so einfach ans Ziel kommen werden. Eine Veränderung der Oberfläche führt erst einmal zu notwendigem Umlernen unserer Anwender:innen, auch wenn sie der neuen Bedienerführung positiv gegenüberstehen. Je nachdem, wie stark die Veränderungen ausfallen, können zusätzliche Kosten für Trainings oder Anpassungen von Dokumenten bzw. Trainingsunterlagen notwendig werden. Das wird die budgetverantwortlichen Stakeholder wohl kaum zufriedener stimmen. Und das ist nur eine Kette von Abhängigkeiten, die es zu analysieren gilt.
Werden wir zu früh konkret, ohne den Sinn des Ziels genauer zu erfassen, führt das leicht auf falsche Bahnen. Ziele haben also eine Hierarchie, entlang der wir immer detaillierter und damit konkreter werden. Auf der Ebene der Planziele sind dann, wie Bild 1 zeigt, SMARTe Ziele sehr sinnvoll und hilfreich [2].
Zielhierarchie entlang der Organisations- und Vorgehensebenen [2]  (Bild 1)
Quelle: Uwe Vigenschow
Mit dem Begriff „Ziel“ bezeichnen wir im Deutschen Ziele auf unterschiedlichen Hierarchiestufen. Im Englischen können wir über die Begriffe „goal“ und objective“ oder auch „aim“ und „target“ viel besser differenzieren. Je abstrakter ein Ziel ist, desto riskanter wäre eine SMARTe Definition des Ziels. Wir wandern durch die Abstraktionsebenen von oben nach unten, um sicherzustellen, dass wir unsere Ziele verstanden haben und dass sie wirklich sinnvoll sind. Dann erst suchen wir den für uns passenden Weg. Eine differenzierte Namensgebung für die unterschiedlichen Zielebenen, wie in Bild 1 dargestellt, kann hier hilfreich sein [3].

Ziele sollen motivieren

Wichtiger als ihre Messbarkeit ist die Motivation, die von Zielen ausgehen soll. Die positive Wirkung motivierender Ziele auf die Leistungsfähigkeit von Teams ist bereits seit den späten 1980er Jahren untersucht und bekannt [4]. Eine starke, inhaltliche Vision und daraus abgeleitete, passende strategische Zielstellungen können eine enorme Wirkung entfalten. Selbst wenn allen beteiligten Personen klar ist, dass eine Vision sich nie vollständig erreichen lässt, kann sie äußerst motivierend sein.
So hat beispielsweise der Automobilhersteller Toyota das folgende, übergeordnete Ziel: Hohe Produktivität bei höchster Produktqualität und pünktlicher Lieferung. Dieses Ziel wirkt sowohl nach außen in Richtung der Kunden (hervorragendes Preis-Leistungsverhältnis bei hoher Verlässlichkeit) als auch nach innen auf die internen Prozesse, die Ausbildung und Verantwortung der Mitarbeitenden sowie die Wirtschaftlichkeit des Konzerns. Gleichzeitig gilt es, verschiedene Aspekte in eine Balance zu bringen. Genauso ist es allen klar, dass es immer einen kleinen Rest an Verschwendung in den Prozessen, nachzubessernde Fehler und Verspätungen geben wird. Die zu findende Balance soll sicherstellen, dass alle Werte auf dem niedrigsten möglichen Niveau liegen und auch bleiben. Damit wird auch deutlich, dass es sich bei der Balance nicht um einen einmal einzustellenden Wert handelt, sondern um eine dynamisch immer wieder mit dem Umfeld in Einklang zu bringende Balance.
Was bedeutet das in der täglichen Arbeit der einzelnen Mitarbeitenden? Jede Handlung, Maßnahme oder Idee wird vor dem Hintergrund des übergeordneten Ziels betrachtet: Wo liegt der Betrag zur weiteren Annäherung an das Ziel, und wie verschiebt sich vielleicht die Balance zwischen den drei Zielparametern? So trägt jeder Mitarbeitende unabhängig vom Standort, der Rolle im Unternehmen oder der aktuellen Aufgaben dazu bei, sich schrittweise diesem Ziel zu nähern. Zugegeben, es sind kleine Schritte, doch der Erfolg über die Jahrzehnte hinweg und im Umgang mit diversen Krisen und veränderten Rahmenbedingungen gibt Toyota Recht.
Welche Kriterien können wir nach diesen Überlegungen für globale, strategische Ziele aufstellen? Zwei Aspekte können wir beschreiben [5]:
  • Es ist zumindest relativ messbar, wie wir uns dem Ziel annähern, also zum Beispiel im Vergleich zum Vorjahr.
  • Es ist in Richtung jedes Stakeholders kommunizierbar und entfaltet dort seine konstruktive, motivierende Wirkung. Das schließt Kunden, Mitbewerber, Geldgeber und alle Mitarbeitenden ein.
Das globale, über allem stehende Ziel motiviert und ist erstrebenswert, jedoch nicht oder nur sehr bedingt SMART. Die heruntergebrochenen oder daraus abgeleiteten Ziele können es dagegen sehr wohl sein. Hier befinden wir uns im konkreten, täglichen Arbeitsalltag. Der Horizont beträgt vielleicht einige Wochen. Die eigenen und gegebenenfalls andere Aufgaben müssen gemanagt werden. Dabei sind SMARTe Ziel sehr hilfreich.

Ziele definieren den Unterschied zwischen heute und morgen

Wenn wir über Ziele sprechen, wählen wir, häufig unbewusst, Wörter, denen eine räumliche Orientierung zugrunde liegt. Wir orientieren uns, gehen darauf zu, haben Schwierigkeiten auf unserem Weg zur Lösung und so weiter. Damit treffen wir nicht den Kern der Sache und lenken eventuell sogar von einem wichtigen Aspekt von Zielen in der Entwicklung und im Management ab: Ziele liegen in der Zukunft!
Über ein Ziel beschreiben wir einen Unterschied zwischen dem Jetzt und einem zukünftigen Zustand. Warum ist das von Bedeutung? Im Gegensatz zum eher statischen Raum haben wir bei Betrachtungen zukünftiger Ereignisse und Zustande eine viel höhere Ungewissheit. Niemand weiß, was wirklich in Zukunft sein wird. Oder aus Sicht eines Managers: Der Weg zu einem Ziel birgt diverse Risiken, von denen uns nur einige zu Beginn bekannt sind.
Deshalb ist es so wichtig, klar zwischen dem Ziel und dem Weg zum Ziel zu unterscheiden. Wir benötigen eine ausreichende Flexibilität auf dem Weg zum Ziel, um auf Risiken angemessen reagieren zu können. Manchmal dauert es länger, manchmal weichen wir aus, bisweilen verändern wir den Weg. Sobald wir Lösungswege anpassen oder verändern müssen, wird der Wert des Ziels zur Orientierung und Bewertung der Alternativen deutlich: Welche Option reduziert Risken? Was oder wen benötigen wir, um unser Ziel doch noch zu erreichen? Ist der Zeitpunkt der Zielerreichung wichtiger als ihr Umfang? Die Antworten auf diese und weitere Fragen finden wir bei der Analyse konkreter Ideen in Bezug auf unser Ziel.

Effizienzfalle

Was aber passiert ohne ein klares Ziel? Dann ist die Gefahr groß, in die Effizienzfalle zu tappen. Wir laufen mit unserer Entwicklung los und sonnen uns in unserem schnellen Fortschritt. Ohne ein klares Ziel können wir Hindernisse, die wir eigentlich lösen müssten, einfach links liegen lassen. Wir erkennen nicht, ob eine Problemlösung für uns wichtig wäre oder nicht.
Wir sind schnell, die Zahlen im Projektcontrolling zaubern den Managern ein Lächeln ins Gesicht. Alle Mitarbeitenden sind gut ausgelastet. Wir sind wahnsinnig effizient. Doch leider nicht effektiv. Die Wirksamkeit beziehungsweise der Wert unserer Software ist so leider nur gering. Es ist unklar, für wen wir unsere Lösung bauen und was damit erreicht werden soll. Über gut gewählte, motivierende Ziele umschiffen wir die Effizienzfalle. Ja, es wird deutlich mehr anstrengende Diskussionen mit anderen Stakeholdern geben, doch deren Ergebnisse bringen uns wirklich näher an unser Ziel. Und es wird vermutlich auch nicht immer effizient gearbeitet werden können. Doch das Ergebnis wird alle zufrieden stellen. Und darauf kommt es an.

Fazit

Motivierende Ziele, die sich aus der Vision und Mission (Bild 1) ableiten lassen, können meist nicht SMART sein. Ihre Wirkung ist dennoch enorm, und ihr Wert für die Softwareentwicklung kaum zu überschätzen. Um konkret arbeiten zu können, brechen wir Ziele in mittel- und kurzfristige Ziele herunter. Für diese Ziele mit einem Zeithorizont von maximal einigen wenigen Monaten ist es dagegen sehr sinnvoll, sie SMART zu formulieren. In einem aufeinander abgestimmten Zielgeflecht aus langfristigen, idealen sowie kurzfristigen, konkreten Zielen können wir uns bei unserer täglichen Arbeit daran orientieren und unsere Wirksamkeit maximieren.
Fußnoten
  1. Sieroux, Roock, Wolf: Agile Leadership, dpunkt.verlag, 2020
    [2] Vigenschow, Schneider, Meyrose: Soft Skills für IT-Führungskräfte und Projektleiter, 3. Auflage, dpunkt.verlag, 2016
    [3] Vigenschow: Der Wert von Zielen, dotnetpro 4-5/25, Seiten 97-101
    [4] Stoner-Zemel: Visionary leadership, management, and high performing work units: An analysis of workers' perceptions, University of Massachusetts Amherst ProQuest Dissertations & Theses, 1988. 8823744
    [5] Vigenschow: Lernende Organisationen, dpunkt.verlag, 2021


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