Recruiting
08.06.2022, 07:40 Uhr
So gewinnt man Entwickler:innen
Worauf achten Entwickler:innen bei der Jobwahl und was ist ihnen wichtig?
(Quelle: dotnetpro)
Digitaler Fortschritt ist nur möglich mit Fachkräften, die die technologische Wertschöpfung in Unternehmen sichern. Durch einen akuten Mangel stehen Unternehmen im harten Wettbewerb. Es gilt, diese Talente zu gewinnen und zu halten.
Laut MINT Report 2021 des Instituts der deutschen Wirtschaft wurden im April 2021 circa 359.000 offene Jobs in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik ausgeschrieben. Jedoch gab es nur 228.500 geeignete Kandidat:innen. Besonders betroffen ist dabei die IT. Der Bitkom erfasste 2021 rund 96.000 unbesetzt gebliebene Stellen für IT-Expert:innen. Zu den meistgesuchten Funktionen zählten IT-Architekt:innen, Security Expert:innen, Data Scientists und Softwareentwickler:innen mit Expertise in Java, nodeJS, C, C++, C#, PHP und SQL.
Fehlende ITler:innen schaden nicht nur dem technologischen Fortschritt. Jede unbesetzte Programmiererstelle kostet ein Unternehmen laut einer Berechnung der Karriereplattform On Apply durchschnittlich 64.000 Euro im Jahr. In dieser Kalkulation wird das Jahresgehalt, ebenso wie die Arbeitstage im Jahr und die Rekrutierungsdauer berücksichtigt.
Je höher der Bedarf an Programmierer:innen und ihr Erfahrungsgrad, desto höher sind die Verlustkosten der fehlenden Mitarbeiter:in. HR und Recruiting verantworten nicht nur das Wachstum von Unternehmen, sondern sind maßgeblich für ihren wirtschaftlichen Erfolg verantwortlich.
Wie also gewinnt man Entwickler:innen für das eigene Unternehmen? Welche Faktoren beeinflussen IT-Talente bei der Arbeitgeberwahl? Dabei kommt es vor allem auf die folgenden vier Punkte an:
Flexibles Arbeiten: Menschen fördern, statt starre Strukturen aufrechterhalten
Viele Unternehmen scheitern noch immer bei der Implementation von agilem Arbeiten. Oftmals werden agile Methoden eingeführt, ohne dass ein Wandel der Organisationskultur vorangetrieben wird. Die Folge: Entwicklungsteams werden Ziele und Aufgaben vorgegeben, die sie am besten so schnell wie möglich agil umsetzen sollen. Der aus dieser “Mach!”-Attitüde resultierende Leistungsdruck läuft der Arbeitsweise von Entwickler:innen diametral entgegen. Klar, manch ein:e Entwickler:in mag eindeutige Vorgaben. In der Regel fällt aber die Aufgabendefinition genauso in den Aufgabenbereich eines Entwicklungsteams wie die Lösung selbst und der Weg dorthin.
Ohne ein tiefes Verständnis für die Arbeitsweise von Entwickler:innen werden auch die meisten Vorhaben, sich als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren, scheitern. Softwareentwicklung verlangt ein hohes Maß an Flexibilität und ein holistisches Verständnis des Produkts. Zwingt man Entwickler:innen dazu, starren Strukturen innerhalb der Organisation zu folgen, ohne Selbstverantwortung übernehmen zu können, steht dies oftmals in starkem Kontrast zu ihren Bedürfnissen.
Solche unangenehmen Umstände sprechen sich schnell herum: Die Developer-Community ist stark vernetzt und Erfahrungen werden schnell ausgetauscht. Daher ist es unablässig, in den nötigen strukturellen Wandel der Organisation zu investieren, bevor man sich um prunkvolle Marketingkampagnen bemüht. Bei einem gelungenen Employer Branding steht die Authentizität im Fokus. Um Mitarbeitende dauerhaft zu binden, müssen sich das interne Erlebnis mit der externen Kommunikation ohne Abstriche decken.
Agiles Arbeiten für mehr Zufriedenheit und Erfolg bei Softwareprojekten
Beim agilen Arbeiten kommt es auf Anpassungsfähigkeit und Reflexion an, um eine kontinuierliche Weiterentwicklung eines Projektes zu ermöglichen. In agilen Methoden wird jeder Projektabschnitt in kurzen Abständen gemeinsam geplant und danach reflektiert, um den Projektablauf kontinuierlich zu verbessern. Der Kern von Agilität: Entwicklungsteams führen sich selbst. Statt einem klassischen hierarchischen Führungsstil zu folgen, arbeiten Teams autonom an eigenen Projekten und Prozessen. Agile Methoden ermächtigen Teams zur Selbstbestimmung und -organisation. Vor allem erfahrene Developer schätzen ein solches Vertrauen und Flexibilität bei der Jobwahl.
Die Basis für eine agile Unternehmensführung ist maximales Vertrauen in die Mitarbeiter:innen und ihre Fähigkeiten. Dadurch wird eine Kultur geschaffen, in der Experimentierfreudigkeit erwünscht ist und Fehler nicht als Problem, sondern als Chance gesehen werden. Damit wird der Nährboden dafür geschaffen, neue Lösungswege auszuprobieren – kurz: für Innovation. Wer heutzutage Personalarbeit für Entwickler:innen macht, muss zwar kein Agile Coach sein, aber sollte die Mechanismen hinter agiler Arbeit verstanden haben. Dazu gehört auch, so nah wie möglich an Entwicklungsteams zu bleiben. Das HR-Team kann Developer optimal unterstützen, wenn es genau versteht, welche Tools und Elemente wichtig für das Team sind, um ihr Arbeit bestmöglich zu erledigen.
Herausforderungen: Treibstoff für Entwicklungsteams
Developer sind stetig auf der Suche nach interessanten Projekten. Organisationen, die es schaffen, Entwicklungsteams kontinuierlich vor neue Herausforderungen zu stellen, fördern nicht nur das Potenzial ihrer Entwickler:innen, sondern auch die Unternehmensbindung. Zu den größten Frustrationen von IT-Talenten zählt es, nicht gefördert und mit Aufgaben konfrontiert zu werden, die sich zu einfach oder zu schnell lösen lassen. Technische Komplexität bietet Abwechslung und motiviert Entwickler:innen.
Doch wie gestaltet man abwechslungsreiche und anspruchsvolle Projekte? Um stets neue Herausforderungen bieten zu können, ist es wichtig, in eine Kultur zu investieren, in der neue Ideen begrüßt und gefördert werden. Durch Experimentierfreudigkeit wird der Arbeitsalltag bereichert. Zudem ist es essenziell, genau auf die Team-Zusammenstellung zu achten und Bedürfnisse von Entwickler:innen zu berücksichtigen, um die besten Ergebnisse zu erzielen. Manche Kolleg:innen freuen sich, wenn sie über Jahre an einem Projekt arbeiten können und zusammen mit ihrem Team wachsen. Andere wollen sich dagegen immer wieder neuen Projekten widmen und mit verschiedenen Kolleg:innen mit diversen Expertisen zusammenarbeiten. Daher kommt dem Verständnis der Entwicklerteams eine hohe Bedeutung zu, um die Projekte und Aufgaben optimal zu verteilen.
Deshalb werden in der Softwareentwicklung und besonders in der Arbeit mit agilen Teams viele HR-Aufgaben direkt den Projektteams anvertraut. Product Owner sind verantwortlich für die Aufgaben des Entwicklungsteams, Agile Coaches für die Personen im Team selbst und die Prozesse, mit denen sie arbeiten. Beide werden dabei projektübergreifend von HR unterstützt, die sich beispielsweise um das Recruiting von neuen Mitarbeitenden oder die Personalplanung kümmert. Agile Arbeit bedingt, dass jegliche Personalarbeit sehr eng an der Entwicklung hängt. Nur so werden Teams und Projekte passend zusammengeführt sowie Mitarbeiter:innen gefördert und aktiv in die Unternehmenskultur eingebunden.
Programmieren ist ein Teamsport
Der Recruitmentprozess für Developer ist teils leider immer noch von realitätsfernen Stereotypen geprägt. Softwareentwicklung wird häufig immer noch als abgeschottete, isolierte Aufgabe dargestellt; Entwickler:innen als introvertiert und am liebsten alleine arbeitend. Moderne Softwareentwicklung ist aber ein Teamsport. Es ist ein zutiefst soziales und kommunikatives Unterfangen. Zu beliebten Arbeitsmethoden in der Softwareentwicklung zählen Pair und Mob Programming, bei der mehrere Developer gemeinsam in Echtzeit programmieren. Hinzukommen regelmäßige Abstimmungsphasen, wie etwa kurze tägliche Meetings, gemeinsame Planning-Sessions oder Retrospektiven am Ende von Entwicklungsphasen. Entwickler:innen müssen daher teamfähig und kommunikativ sein, um den Projekterfolg sicherzustellen.
Für Personalverantwortliche ist es wichtig, auf die Teamkommunikation zu achten, und diese auch zu fördern. Developer möchten und müssen sich kennenlernen. Gerade in Zeiten von Remote Work ist es wichtig, ausreichend Zeit und Raum für den persönlichen Austausch zu schaffen. Dafür braucht es feste Formate, wie regelmäßige Team-Events, die Kolleg:innen zusammenbringen. Bei Turbine Kreuzberg wurde etwa die Breakout Week etabliert – eine Woche im Sommer, in der sich alle vor Ort treffen und gemeinsam an eigenen Ideen arbeiten.
In Reaktion auf den Fachkräftemangel stellen viele Technologieunternehmen Developer standortunabhängig ein. Doch auch in der internationalen Zusammenarbeit ist ein (Face-to-face) Austausch unablässig. Als Turbine Kreuzberg ein zweites Büro in Faro, Portugal, eröffnete, wurde ein reger Austausch angestoßen: Mehrere Kolleg:innen sind regelmäßig für Wochen nach Portugal geflogen, um die Teammitglieder vor Ort besser kennenzulernen. Nach den ersten Erfahrungen haben wir dieses Potenzial genutzt und sowohl in Berlin als auch in Faro Wohnungen angemietet, in denen unsere Mitarbeiter:innen während ihres Aufenthalts leben können. Zudem haben wir dediziert Kolleg:innen, die sich um die Organisation der Reise kümmern, sodass die Hürden für den Austausch minimiert werden. So lässt sich Kultur erlebbar machen und festigen.
Fazit: Individuell, flexibel und anspruchsvoll
Um Developer für sich zu gewinnen und zu halten, ist es zwingend notwendig, flexibel und individuell auf die Bedürfnisse der eigenen Teams einzugehen. Anstatt Entwickler:innen als Ressource zu betrachten, die Software produzieren, müssen Personalverantwortliche das Potenzial der Mitarbeiter:innen anerkennen und daraus Handlungen ableiten. Sei es durch agiles Coaching, durch die Förderung des persönlichen Austausches oder bei der diversen Zusammenstellung von Teams. Wenn Developer:innen gefördert werden und miteinander fokussiert an anspruchsvollen Projekten arbeiten können, erhöht das die Attraktivität des Arbeitgebers – und trägt somit maßgeblich zu dem Unternehmenserfolg bei.
Dustin Müller ist Director People & Culture bei Turbine Kreuzberg. Er ist hauptverantwortlich dafür, die passenden Personen in die Organisation zu bringen, sie zu entwickeln und ihre Zufriedenheit zu sichern.