Editorial 18.07.2022, 00:00 Uhr

Schätze, das war’s

„Dazu müssen wir nur eine Zeile Code ändern. Dauert keine Stunde.“
(Quelle: Tilman Börner)
Dieser Ausspruch eines Kollegen ist jetzt zwei Tage her und es ist immer noch kein Ende in Sicht. Kommt Ihnen das bekannt vor? „There’s no such thing as a one-line-change“, schreibt Fernando Hurtado Cardenas in einem Blogpost [1] in Anlehnung an den Spruch „There’s no such thing as a free lunch“.
Auf gut Deutsch: Nichts ist umsonst. Die Welt besteht aus Geben und Nehmen. Wer etwas will, muss dafür bezahlen. Ob im Geschäft, in der Diplomatie oder eben in der Softwareentwicklung.
Bei Letzterer entsteht der Trugschluss aufgrund der Anmaßung, man könne schätzen, welcher Aufwand hinter einer Änderung steht, welche Codezeilen tatsächlich angepasst werden müssen.

Aber schätzen – das haben wir inzwischen gelernt – ist böse und bei Softwareprojekten immer gefährlich.

„Das dauert zwei Wochen“ kann einem Team das Genick brechen, weil die Softwareentwicklung eben nicht kompliziert, sondern komplex ist.
Es fällt schwer, die Verwicklungen im Code, die Abhängigkeiten und Seiteneffekte komplett auf dem Radar zu haben. Dass nämlich die Funktion in der Zeile, die eben mal geändert werden soll, in einer Bibliothek abgelegt ist, deren Source­code überhaupt nicht verfügbar ist, ist dem Sprecher der Eingangsaussage nicht bewusst.
Ein Mahner in diesen Dingen war und ist Ralf Westphal, der in der Sandbox seit dem Start der Reihe in der Februarausgabe der dotnetpro im Jahr 2005 immer wieder auf diese Problematik hingewiesen hat und selbst Verfahren entwickelt hat, wie man den Zeitbedarf für eine Softwareentwicklung besser ermitteln kann.
Leider ist Ralf der Meinung, dass er alles gesagt habe, und bevor er sich wieder­holt, will er lieber die Sandbox beenden. Das ist außerordentlich schade, endet damit doch eine Kolumne, die immer einen eigenen und meist überraschenden Blick auf die Softwareentwicklung und die Menschen geworfen hat.
Von mir erhält Ralf ein riesiges Dankeschön für die vielen Sandboxen, Architekturartikel, Ideen, Anregungen und Kritiken, die er in all den Jahren den Lesern der dotnetpro und mir hat angedeihen lassen.
Ich wünsche Ralf, dass sein Sandbox-loser Weg ähnlich spannend verläuft wie seine Zeit mit der dotnetpro.
Viel Spaß mit der dotnetpro
Tilman Börner
Chefredakteur dotnetpro
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