Editorial
17.10.2022, 00:00 Uhr
Viele Welten
Sie trafen sich in der ambulanten Gruppenstunde der Klinik wieder, in der schon so mancher Entwickler ein neues Zuhause gefunden hatte.
Sein Fall sei nicht so gravierend, hatte man Franz K. gesagt und ihn wieder nach Hause geschickt – allerdings mit der Auflage, jede Woche an der Gruppensitzung der anonymen Entwickler teilzunehmen. „Sie müssen Ihr Trauma akzeptieren und damit leben lernen. Deshalb ist es unumgänglich, dass Sie sich der Begegnung mit dieser Softwareentwicklerin stellen.“
Während Irina W. nur mit einem leichten Kopfschütteln in Richtung Franz K. zeigte, dass sie ihn kannte, starrte er sie im Stuhlkreis der Gruppe unverwandt und immer noch total fassungslos an.
Dabei hatte alles so gut angefangen. Sie hatten sich in einer Kneipe kennengelernt, weil die, die sie eigentlich treffen wollten, plötzlich verhindert waren.
Sehr schnell hatten sie festgestellt, dass sie beide Software entwickelten. Während Franz K. in einer kleinen Softwarebutze Firmware für ein Testsystem für Autositze programmierte, war Irina W. im Enterprise-Umfeld unterwegs. Microservices und DevOps gehörten zu ihrem Alltag.
Die anfängliche Begeisterung zwischen Coding Girl und Dev Man schlug aber schon beim zweiten Bier in blankes Entsetzen und beiderseitige Fluchtreaktionen um, nachdem sie immer mehr Details aus dem Alltag des anderen erfuhren.
Während bei Franz K. nicht mal ein Versionskontrollsystem verwendet wurde – „jede Version ein Ordner, schließlich sprechen wir von Quellcode unter einem Megabyte“ –, hantierte Irina jeden Tag mit Kubernetes, Git, NoSQL-Datenbanken in Terabyte-Größe und Message-Bussen. Fassungslos musste sie erkennen, dass es tatsächlich solche Low-Tech-Junkies gab, von denen ihr Chef schon mehrfach erzählt hatte. Ihm, Franz K., fiel es wiederum schwer, ihr überhaupt zu folgen, welchen Sinn und Zweck die ganze Aufrüstung an Software-Infrastruktur haben sollte, welche Probleme mit verteilten Teams auftraten und was zum Henker dieses „dEVoops“ wäre.
Erst eine der Gruppensitzungen brachte sie einander wieder näher. In einer denkwürdige Session erzählte ein SAP-HANA-Programmierer unter Tränen von seinem Alltag. Von Hunderten Tabellen, von zeilenorientierten Datenbanken und spezieller Hardware. Noch während dieser Sitzung signalisierten Irina W. und Franz K. durch Blickkontakt Verständnis für die Welt des anderen und stellten anschließend ihre Beziehung bei einem Verständigungsbier auf neue Beine.
Viel Spaß in den verschiedenen Welten der Softwareentwicklung und selbstverständlich mit der dotnetpro wünscht Ihnen
Tilman Börner
Chefredakteur dotnetpro
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