Wenn jede Minute zählt, zahlen sich Gantt-Charts aus

Kai Herrmann, Senior Technical Account Manager, ILOG

Obwohl viele Software-Anwendungen zeitbezogene Informationen verarbeiten, nutzen nur wenige Software-Projektmanager die Vorteile von Gantt-Charts in Benutzerinterfaces. Vielfach ziehen es Entwickler nicht in Betracht, Endanwendern solche Tools anzubieten. Wenn sie es dennoch tun, werden die Entwicklungskosten schnell zum Problem. Gantt-Charts sind üblicherweise in Projektmanagement-Tools wie Microsoft Project integriert. In anderen Applikationen werden sie jedoch kaum verwendet, obwohl diese von der Funktionalität genauso profitieren könnten.

Gantt-Charts stellen Daten auf einer Zeitachse dar. So können Anwender visualisieren, wann welches Ereignis auftritt und wie es zeitlich mit anderen Ereignissen in Beziehung steht. Mit Gantt-Charts kann man auf der Zeitachse scrollen und in sie hineinzoomen. Aktivitäten können per Drag and Drop abgelegt und verschoben werden, separate Eingabefelder nehmen Detailinformationen auf. Hierarchisch strukturierte Ressourcen oder Aktivitäten, wie ein Mitarbeiter-Team oder ein untergeordnetes Projekt können auf- und zugeklappt dargestellt werden, um wahlweise die Darstellung zu vereinfachen oder mehr Daten anzuzeigen. Einzelne Aktivitäten können auch mit Vorbedingungen versehen werden, so dass zum Beispiel bestimmte Ereignisse nicht angezeigt werden, bevor eine Aktivität abgeschlossen ist.

Für Gantt-Charts gibt es zwei Darstellungsarten: aufgaben-orientierte Charts und ressourcen-orientierte Charts. Projektmanagement-Anwendungen verwenden fast ausschließlich aufgaben-orientierte Charts, in denen jede horizontale Linie eine bestimmte Aufgabe oder eine Gruppe von Aufgaben repräsentiert. Ressourcen-orientierte Charts hingegen werden für Projekte verwendet, bei denen die Planung der verfügbaren Ressourcen im Vordergrund steht. Gantt-Charts diesen Typs zeigen den zeitlichen Einsatz einer Ressource oder einer Gruppe von Ressourcen in Form von Linien an. Außerdem werden die Aufgaben, die dieser Ressource zugeordnet sind, abgebildet.

Für Gantt-Charts gilt wie so oft: Der Teufel steckt im Detail. Um sinnvoll eingesetzt zu werden, muss ein Gantt-Chart mehr Informationen vermitteln, als nur einen Zeitablauf. Anwendungsbezogene Informationen müssen im Chart abgebildet werden - Icons, um kritische Informationen hervor zu heben, farbliche Markierungen um Situationen zu erkennen, die besonderes genau beobachtet werden müssen, Alarmanzeigen, unterschiedlich starke und farbige gepunktete und gestrichelte Linien für die Anzeige von geplanter und tatsächlicher Dauer eines Ereignisses und viele mehr.

Wie und wofür Gantt-Charts genutzt werden, hängt vom Einsatzgebiet ab. Anwendungsbeispiele verdeutlichen die Vielfalt der Verwendungsmöglichkeiten.

Eine Fabrik, kann beispielsweise mit Gantt-Charts visualisieren, wie sie bestellte Waren produziert. Der Schwerpunkt liegt auf Maschinen und den zu liefernden Waren. Deshalb kommen ressourcen-orientierte Charts zum Einsatz. Jede Linie stellt eine bestimmte Maschine dar, und Aktivitäten-Icons bilden ab, wann welche Maschine welches Produkt (oder eine Zwischenstufe davon) bearbeitet. Die Anwender können so auf einen Blick erkennen, wie eine Bestellung von einer Maschine zur nächsten wandert, bis sie schließlich abgeschlossen ist. Die Auslastung einer Fertigungslinie kann ebenfalls übersichtlich in einem Chart dargestellt werden - Überlastungen werden hervorgehoben. In solchen Produktionsvisualisierungen werden einzelne Bestellungen meist farblich voneinander abgegrenzt. Über Filterfunktionen kann die Darstellung so eingeschränkt werden, dass sich beispielsweise Endkunden auf einem Webportal über den Status ihrer Bestellungen informieren können.

Anders funktioniert es in Speditionsunternehmen. Dort werden Gantt-Charts oft nutzerabhängig eingesetzt. Fahrer werden dort Fahrzeugen sowie Aufträgen und Touren zugeteilt. Durch ein ressourcen-orientiertes Chart mit einer Linie pro Fahrer können diese ihre Einsatzpläne leichter lesen. Das Wartungsteam der Spedition benötigt jedoch eine ganz andere Information. Es muss sich um die Instandhaltung der LKWs kümmern und Wartungsintervalle einhalten. Das Gantt-Chart dieses Teams verwendet deshalb die Linien, um die Fahrzeuge und deren Fahrzeiten im Blick zu behalten und die Wartungsphasen abzubilden. Die Disponenten der Spedition wiederum benötigen beide Perspektiven in einem Chart, damit sie Transportkapazitäten, Routen und Fahrzeiten so planen können, dass die Trucks einerseits ausgelastet, andererseits aber nicht verplant sind, wenn sie in die Werkstatt gehören.

Weniger verbreitet ist der Einsatz von Gantt-Charts bei Zeitleisten, die Geschäftsprozesse definieren, simulieren oder überwachen - etwa in Anwendungen für Business Process Management (BPM) oder Business Activity Monitoring (BAM). Fachleute für Geschäftsprozessanalyse verwenden gemeinhin Flowcharts für die Darstellung von Prozessen.

An einem bestimmten Punkt im Planungsprozess aber müssen sie zeitbezogene Informationen hinzufügen, um die Aktivitäten eines Prozesses zueinander in Beziehung zu setzen. Beispielsweise muss die Dauer einer Aktivität angezeigt werden, oder eine Latenzzeit, bis der Besitzer einer Aufgabe alarmiert wird. Beides sind Informationen, die auf einer Zeitleiste leichter zu erfassen sind. In einem solchen Process Modeler kann der Anwender von einer Flowchart- zu einer Gantt-Chart-Ansicht wechseln.

Die Aktivitäten werden dann auf der Zeitachse eingetragen, Einschränkungen und gegenseitige Abhängigkeiten aus dem Flowchart werden dabei übernommen. Durch eine Zeitleiste wird die Ausführung eines Prozesses klar sichtbar. Die Dauer einzelner Aktivitäten kann festgelegt werden, und es lässt sich erkennen, wie sich eine Änderung auf die Gesamtdauer des Prozesses auswirken wird. Besonders zeitintensive Phasen werden so schnell und einfach entdeckt.

Ebenso aufschlussreich sind Zeitachsen bei Simulationen und der Zeiterfassung. Sie helfen den Anwendern bei der Identifikation von Engpässen. Während der Prozessausführung kann der Prozessbesitzer zu jedem Zeitpunkt sehen, welche Aktivitäten oder Ereignisse bereits eingetreten sind und welche auftreten werden. Dies erleichtert die Planung und Vorhersage eines Enddatums enorm und ist für Kunden ein echter Servicevorteil.

Es gibt also eine Vielzahl von Gründen und Einsatzmöglichkeiten für Gantt-Charts in Software-Anwendungen, die zeitabhängige Aufgaben übernehmen. Viele Softwarehersteller und IT-Abteilungen haben bis dato versucht, eigene Gantt-Charts zu implementieren. Sie stießen dabei aber zunehmend auf rapide steigenden Cost of Ownership und Ergebnisse, die hinter den Erwartungen zurückblieben.

Eine Alternative zu Eigenentwicklungen sind deshalb Standard-Gantt-Komponenten, die in eine Applikation integriert werden können. Bei der Auswahl eines solchen Produkts sind Flexibilität und individuelle Anpassungsmöglichkeiten wichtige Kriterien. Software-Projektmanager, die den Einsatz solcher Komponenten erwägen, sollten zunächst bestimmen, ob die Gantt-Komponente alle nötigen Informationen darstellen kann und ob die Ereignisbalken ausreichend flexible Darstellungsoptionen bieten, um aussagekräftig genug zu sein.

Die Anpassung der Chart-Darstellung und der Informationstiefe sollte genauso möglich sein, wie die Planung von Projekten nach Ressourcen und Aktivitäten, einschließlich Auslastungscharts. Die Möglichkeit, Rich-Clients oder Thin-Clients für die Darstellung in Browsern zu erstellen, spielt ebenfalls eine Rolle. Eine Gantt-Komponente, die dieses Niveau an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit bietet, wird für eine Fülle an Softwareprojekten zu zeitabhängigen Applikationen nützlich sein.